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ADHS-Diagnose im Erwachsenenalter: Häufig Frauen betroffen

ArtikelLesezeit: 2:00 min.
Frau lehnt Stirn und Hände an einen Spiegel

Bildnachweis: © stock.adobe.com / benevolente

Der Laie staunt: Immer wieder begegnen uns in den Medien Berichte von Frauen, die erst im Erwachsenenalter die Diagnose ADHS oder ADS erhalten – häufiger, als dies bei Männern passiert. Woher kommt dieses „Phänomen“?

Expertenbild

Die Expertin zum Thema

Heike Maier

Dipl.-Psychologin
ServiceCenter AOK-Clarimedis

ADHS – das ist eine Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörung, die typischerweise im Grundschulalter oder beim Übergang zur weiterführenden Schule diagnostiziert wird. In einigen Fällen auch in der Variante ADS: Hier fehlt der hyperaktive Charakter der Erkrankung. AD(H)S-Kinder fallen insbesondere im Alter von zehn bis zwölf Jahren auf, weil hier sehr genau beobachtet wird, welche Kinder schulkonformes Verhalten zeigen und mit den steigenden Anforderungen umgehen können, und welche nicht.

Jungen mit ADHS verhalten sich anders als Mädchen mit ADHS

Typische Symptome eines Kindes mit ADHS: Ein übersteigerter Bewegungsdrang, Impulsivität und dadurch unüberlegtes Handeln und eine gestörte Konzentrationsfähigkeit. Kinder mit ADHS verhalten sich nicht nur im schulischen, sondern auch im familiären Umfeld entsprechend. Nicht alle diese Symptome müssen vorliegen oder gleich ausgeprägt sein. Die Medizin unterscheidet zwischen dem hyperaktiven Typ – häufiger bei Jungen vorliegend – und dem bei Mädchen häufigerem unaufmerksamen Typ,

Während Jungen sehr häufig diese aufmerksamkeitsstarken Symptome zeigen, ist es bei Mädchen mit ADHS oft ganz anders: Sie spüren zwar, dass „etwas mit ihnen nicht stimmt“, also, dass sie anders sind als andere. Aber aus Sozialisationsgründen, einem hohen Grad an Anpassungsstreben und dem Wunsch nach Zugehörigkeit überdecken sie ihre ADHS-Symptome. Sie reißen sich im Unterricht zusammen und versuchen im Privaten die Erwartungen und Rollen zu erfüllen, mit denen sie sich konfrontiert sehen. Dieses Überdecken – auch Masking genannt – kostet Mädchen viel Kraft. Im Ergebnis sind ihre Symptome nicht sichtbar, die Mädchen stören nicht. Aber sie funktionieren auch nicht „normal“, weshalb sie beim Erwachsenwerden immer wieder an Grenzen kommen. Die nicht sichtbaren ADHS-Symptome bei Mädchen verhindern eine frühe ärztliche Diagnose. ADHS in der Kindheit wird bei Jungen viermal häufiger diagnostiziert als bei Mädchen.

Aus ADHS-Mädchen werden ADHS-Frauen – unerkannt

So werden aus Mädchen mit nicht diagnostiziertem und unbehandeltem ADHS ebensolche Frauen. Der hohe Leidensdruck durch das anhaltende Masking endet für viele erst mit der Diagnose. Dann aber schlagartig, weil sie sich endlich selbst verstehen und verstanden fühlen. Viele bezeichnen das als „das Vorher“ und „das Nachher“: zwei komplett unterschiedliche Leben.

„Das Vorher“ ist eine ständige Selbstüberforderung und die Herausforderung, im Alltag funktionieren zu müssen. Das kann zu einer Eskalation führen, weil irgendwann die Kraft für das Masking fehlt. Es kann zum Beispiel zum Burn-out kommen. Das kann eine Chance sein – wenn bei der Diagnosestellung auch ADHS abgeprüft und auch auf typisches Verhalten in der Kindheit geschaut wird. Für Menschen mit ADHS ist es zum Beispiel häufig problematisch, Aufgaben abzuarbeiten, sich zu organisieren, sich Dinge zu merken und Gesprächen ruhig zu folgen. In der hyperaktiven Ausprägung kommt es häufig zu riskantem Verhalten in Sport oder Verkehr oder zu einem ungesunden Lebensstil. In der unaufmerksamen ADS-Variante neigt die Betroffene langsam, verträumt und schnell erschöpft zu sein und viele Selbstzweifel zu hegen. Auch ständige Reizüberflutung und Aufschieberitis sind gängige Verhaltensweisen. Allen ADHS-Erkrankten gemein ist, dass sie häufiger Beziehungsprobleme und Trennungen erleben und von finanziellen Problemen und Problemen am Arbeitsplatz betroffen sind.

Wann wird ADHS bei Frauen häufig entdeckt?

Wenn sich das Leben komplett ändert und die Anforderungen im Alltag deutlich steigen, beginnt für viele ADHS-Mädchen, die nun erwachsene Frauen sind, eine besonders herausfordernde Phase. Der Einstieg in den Beruf, die Geburt eines Kindes, der Bau eines Hauses können Symptome triggern und dazu führen, dass sie als solche erkannt werden.

ADHS kann Depressionen hervorrufen

Auch wenn die ADHS-Diagnose erst im Erwachsenenalter und damit sehr spät fällt, ist sie ein wichtiger Schritt, denn über 50 Prozent der erwachsenen ADHS-Patienten entwickeln zusätzlich eine Depression oder Angststörungen – das betrifft überdurchschnittlich Frauen. Auch Essstörungen können Begleiterscheinungen sein, ebenso psychosomatische Erkrankungen wie chronisches Erschöpfungssyndrom oder Schilddrüsenfunktionsstörungen.

ADHS bei Erwachsenen: Frauen sind unterdiagnostiziert

Auch wenn das Auftreten von ADHS im Erwachsenenalter bei Männern und Frauen ähnlich häufig ist, wird ADHS bei Frauen immer noch seltener diagnostiziert. Ein möglicher Grund ist die auf die hyperaktive und damit „männlichere“ Symptomatik fokussierte Diagnosemethodik: Die Fragebögen passen nicht zu den typisch weiblichen Symptomen der bei Frauen häufigeren unaufmerksamen ADHS-Variante. Sprich: Die Frauen erreichen bei dem Fragebogenverfahren nicht die für eine eindeutige Diagnostik erforderliche Punktzahl.  

Wer als Erwachsener den Verdacht hat, ADHS zu haben, kann sich an einen Neurologen, Psychiater oder Psychotherapeuten wenden. Vielen hilft bereits die Diagnose ein wenig, weil sie die Selbstzweifel lindert und der eigene Charakter nicht mehr so kritisch infrage gestellt wird. Sinnvoll sind außerdem eine Verhaltenstherapie zur besseren Impulskontrolle und Stimmungsregulierung. Auch die Einnahme von Medikamenten ist in Einzelfällen gewinnbringend.

Letzte Änderung: 11.05.2023