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Schwere Krankheiten – auch Angehörige leiden

InterviewLesezeit: 3:00 min.
Familie mit an Krebs erkrankter Mutter verbringt Zeit miteinander

Bildnachweis: © stock.adobe.com / LIGHTFIELD STUDIOS

Ob Kinder depressiver Eltern, Partner Krebskranker, Eltern von kranken Kindern oder deren Geschwister: Wenn ein Familienmitglied oder eine enge Bezugsperson krank wird, leiden Angehörige meist sehr mit. Viele alltägliche Dinge geraten in den Hintergrund.  Wie wichtig Auszeiten und Hilfen von außen für Angehörige sind, erklärt Dr. Martina Schüürmann, Fachärztin für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie, im Interview.

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Die Expertin zum Thema

Dr. Martina Schüürmann

Fachärztin für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie
St. Augustinus-Kliniken gGmbH, Neuss

Was beschäftigt Angehörige von schwer kranken Menschen?

Redaktion

Für viele Angehörige kranker, schwer kranker oder auch zu pflegender Menschen ist die Situation massiv belastend. Im Moment der Diagnose genauso wie im Fortlauf der Krankheit. Es gibt viele Familien, bei denen eine Erkrankung den Zusammenhalt stärkt und jeder einzelne daran wächst. Wir sehen aber immer häufiger, dass diese Situationen im späteren Verlauf zu Depressionen oder anderen Erkrankungen bei Angehörigen führen können.

Dr. Martina Schüürmann

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Ist es vor allem der Schock über die Diagnose – oder was ist das Schlimmste?

Redaktion

Neben den Ängsten die mit einer schwerwiegenden Diagnose einhergehen, achten viele Angehörige aber auch Betroffene zu wenig auf sich selbst. Ihr Pflichtbewusstsein ist groß und sie stellen ihre eigenen Bedürfnisse hinten an. Eine schwere Krankheit wie zum Beispiel eine Krebserkrankung kann alles umwerfen ¬– bis ins letzte Detail: das berufliche Umfeld, die Freunde, finanzielle Sicherheiten, Sorglosigkeit… Das ist eine massive Ausnahmesituation: Mit solchen Ereignissen rechnet keiner und kaum jemand bereitet sich rechtzeitig darauf vor. Auch bei anderen Erkrankungen, die sich langsamer steigern, ist die Belastung immens. Wenn jemand beispielsweise depressiv erkrankt, ist das oft ein schleichender Prozess und häufig verbunden mit einer Hilflosigkeit der Angehörigen aber auch der Betroffenen selbst. Oftmals besteht das Gefühl keinen Einfluss auf die Situation zu haben.

Dr. Martina Schüürmann

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Könnte man sich denn auf sowas überhaupt vorbereiten?

Redaktion

Nein, auf die Diagnose einer schwerwiegenden Erkrankung, die plötzlich auftritt, kann man sich nicht vorbereiten. Es gibt auch kein Patentrezept dafür, sondern es hat viel mit der Grundpersönlichkeit zu tun, wie man als Angehöriger mit so einer Situation umgeht. Schafft man es auch mal – im positiven Sinne – egoistisch zu sein, um Kraft zu schöpfen? Manche können das schneller, manche brauchen lange dafür, manche schaffen das nicht und können im Verlauf über die chronische Belastung selbst krank werden. Innerhalb einer Familie ist es für uns Menschen meistens selbstverständlich, füreinander da zu sein und sich zu unterstützen. Und wenn man nicht zwischenzeitlich auf sich achtet, kann es zu einem Zustand der Erschöpfung kommen. Aus diesem Grund ist es wichtig sich immer wieder Inseln der Erholung zu schaffen.

Dr. Martina Schüürmann

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Ab welchem Punkt braucht man Hilfe – und wie kann man als Außenstehender helfen?

Redaktion

Viele Angehörige müssen sich erst einmal vor Augen führen, wie sehr sich ihr Alltag geändert hat und welche Zusatzaufgaben sie nun übernehmen haben. Alles, was sonst geteilt wurde, hängt nun an ihnen allein. Die Zeit, die sie sonst für sich selbst zur Regeneration zur Verfügung hatten, wird weniger oder fällt weg – und irgendwann ist der Akku leer. Es ist wichtig, sich selbst auch immer wieder etwas Gutes zu tun. Bei uns in der Klinik begleiten wir depressiv erkrankte Menschen und ihre Angehörigen. Wir haben im Haus die sogenannte Familiale Pflege, dabei handelt es sich um Beratungsangebote für Angehörige unserer Patienten. Was wir sehen, ist, dass man als Außenstehender vor allem hinschauen und Hilfe anbieten kann: Kinder zur Schule bringen, Fahrdienste übernehmen, Einkäufe, Krankenhausbesuche – all die Sachen, die den Angehörigen Zeit für sich selbst schenken. Das Wichtigste aber ist, nachzufragen und nicht wegzuschauen und davon auszugehen, dass die Angehörigen von schwer kranken Menschen schon klarkommen werden.

Dr. Martina Schüürmann

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Wie schafft man es überhaupt, den Alltag aufrechtzuhalten, wenn die Krankheit omnipräsent ist?

Redaktion

Wichtig ist eine gute Kommunikationsstruktur in der Familie. Sorgen müssen benannt werden können. Das heißt auch, dass das kranke Familienmitglied nicht in Watte gepackt und nicht jede Sorge ferngehalten wird. Der Betroffene muss integriert werden. Wenn man ihm alles abnimmt, dann grübelt er nur umso intensiver über seinen Verlauf nach. Auch über existenzielle Dinge und Ängste muss gesprochen werden.

Dr. Martina Schüürmann

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Großeltern, Eltern und Kindern.

Familiencoach Depression

Hilfe beim Umgang mit depressiven Angehörigen.

Wir haben bislang davon gesprochen, dass Partner erkranken. Leider werden mitunter auch Kinder schwer krank, gleichzeitig haben Eltern oft weitere Kinder zu versorgen … Wie kann ich denn mein gesundes Kind davor schützen, im Schatten des kranken Kindes zu stehen?

Redaktion

Eine wichtige Rolle spielt dabei zunächst das Alter des gesunden Kindes und wie viel elterliche Fürsorge es selbst noch braucht. Es darf kein Schattenkind werden, sondern muss miteinbezogen werden. Die Eltern sollten ihm kindgerecht erklären, was eigentlich gerade passiert. Und immer auch Zeit für das gesunde Kind einplanen, damit es nicht das Gefühl bekommt: Ich lauf nur nebenher, ich bin nicht wichtig. Es müssen Zeiten gefunden werden, um gemeinsam ins Kino oder auf den Spielplatz zu gehen. Das gesunde Geschwisterkind muss auch Raum bekommen und darf nicht vergessen werden.

Dr. Martina Schüürmann

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Und wenn nun die Eltern selbst krank sind?

Redaktion

Bei allen Erkrankungen, nicht nur bei psychischen, besteht die Gefahr, dass Kinder Verantwortung und Aufgaben übernehmen, die sonst eigentlich bei den Erwachsenen liegen sollten. Hier ist es zu empfehlen, sich sehr früh an Beratungsstellen zu wenden und Hilfen zur Unterstützung zu suchen. Es ist wichtig, als Außenstehender hier genau hinzuschauen und früh Hilfe anzubieten. Es gibt hierfür glücklicherweise mittlerweile viele Anlaufstellen und Familiencoaches.

Dr. Martina Schüürmann

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Familie läuft über eine Wiese

LICHTBLICK

Die Begleitung für Familien mit chronisch kranken Kindern.

Letzte Änderung: 27.12.2022