Barbara Krämer ist Patientenbegleiterin der AOK Rheinland/Hamburg. Gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen kümmert sie sich um schwerkranke Menschen und deren Familien. Im Interview beschreibt sie ihren Alltag, welchen Herausforderungen sie sich stellen muss und warum dieser Beruf so erfüllend ist.
Patientenbegleiterin der AOK Rheinland/Hamburg
Frau Krämer, was ist die Patientenbegleitung der AOK Rheinland/Hamburg?
Erhalten Menschen eine Diagnose über eine schwere oder chronische Krankheit, müssen sie an so viele verschiedene Dinge denken und sie regeln. Die Menschen wissen dann gar nicht, wo sie anfangen und aufhören sollen. Hier springt die Patientenbegleitung ein: Wir sind Kümmerer, Lotsen, die den Betroffenen durch das gesamte Gesundheitssystem helfen. Dabei stehen wir immer in direktem Kontakt – telefonisch oder auch vor Ort bei ihnen zu Hause.
Was sind dabei konkret Ihre Aufgaben als Patientenbegleiterin?
Wenn ich zum Beispiel eine 75-jährige Versicherte mit Brustkrebs, einen fünfjährigen Jungen mit einer schweren Behinderung oder einen 50-Jährigen Mann mit Schlaganfall habe, dann schaffe ich einen Überblick über Angebote in der Kommune, Selbsthilfegruppen, Beratungsstellen in den verschiedenen Städten. Ich stehe regelmäßig in Kontakt mit den Abteilungen innerhalb der AOK, sei es Pflege, Hilfsmittel oder Krankengeld, bei mir laufen quasi die Fäden zusammen. Wir fahren beispielweise mit Pflegeberatern zu den Betroffenen nach Hause und schauen uns an, wo wir helfen können, wo es hakt. Muss vielleicht die Wohnung umgebaut werden? Wie können wir die Familie unterstützen oder eine Nachbarschaftshilfe organisieren?
Warum ist die Patientenbegleitung so wichtig?
Für erkrankte Menschen und deren Angehörige kann unsere Unterstützung eine enorme Entlastung sein. Und es ist für sie einfach schön und beruhigend, wenn sie sich direkt an uns wenden können und wissen, dass wir für sie da sind. Wir haben dabei einen Blick auf den Erkrankten, aber auch auf das Umfeld. Wir schauen, wie wir bestmöglich unterstützen können. Oft erledigen wir einfach Dinge, die die Betroffenen aus psychischen Gründen oder aufgrund von Zeitmangel nicht selbst schaffen. Und manchmal hören wir einfach nur zu.
Die Patientenbegleitung ist ein exklusives Angebot der AOK Rheinland/Hamburg. Wie ist sie ihrerzeit entstanden?
Früher gab es die sogenannten Fachberater Onkologie. Wir haben uns um alle Themen rund um Krebserkrankungen gekümmert: Beratung, Chemotherapie, Strahlentherapie, onkologische Reha… Wir kannten die Kliniken, wir wussten die Schwerpunkte. Aber mit der Zeit kamen auch immer mehr andere Erkrankungen dazu. Aus dieser Fachberatung Onkologie hat sich deshalb die Patientenbegleitung entwickelt. Wir haben einfach erkannt, wie schwierig es für Betroffene ist, wenn sie plötzlich eine niederschmetternde Diagnose erhalten. Die Menschen sind dann von heute auf morgen damit konfrontiert und überfordert.
Sie schaffen also ein Netzwerk an Hilfsangeboten um die Betroffenen?
Ja. Es gibt so viele verschiedene Leistungen – da ist es gut, wenn jemand die Menschen darauf aufmerksam macht. Denn das können sie alles nicht von sich aus kennen. Ist ein Kind beispielsweise an Diabetes erkrankt, dann gibt es Schulbegleiter, die im Schulalltag helfen. Hierzu stellen wir dann den Kontakt her oder weisen darauf hin, dass es diese Angebote gibt. Als Netzwerker wissen wir, wo wir bei der Stadt oder den Ämtern anfragen.
Wie erfährt ein Betroffener von der Patientenbegleitung?
Kommt ein Versicherter zu uns in die Geschäftsstelle oder ruft an, weil er ein besonderes Anliegen im Rahmen seiner Erkrankung hat, dann machen ihn die Mitarbeiter der AOK Rheinland/Hamburg auf die Patientenbegleitung aufmerksam. Wir stellen aktiv den Kontakt zu Patienten nur dann her, wenn sie es auch wünschen. Dann bieten wir unsere Unterstützung an und helfen bei allen möglichen Anliegen. Wichtig dabei ist nur, dass der Betroffene uns eine Einwilligungs- und Teilnahmeerklärung ausfüllt.
Programm „MoodGym“
Aktiv aus der Depression.
Welche Anliegen haben Menschen, die sich an die Patientenbegleitung wenden?
Oft haben sie Fragen zu Pflege, Krankengeld, Medikamenten, Haushaltshilfe oder einem Arztbericht. Oder sie sind unsicher, weil der Arzt etwas gesagt hat, was sie nicht verstanden haben. Dann versuchen wir, zu vermitteln. Entweder stellen wir den Kontakt zum Zweitmeinungsservice der AOK her, oder wenn wir die Einverständniserklärung der Patienten haben, können wir auch bei den Ärzten, Sanitätshäusern, Krankenhäusern oder Reha-Kliniken direkt anrufen und im Namen der Patienten mit ihnen sprechen.
Aber eine schwere oder chronische Erkrankung beeinflusst nicht nur die Gesundheit, sondern auch das soziale Leben.
Das stimmt. Es geht bei unserer Beratung auch oft um finanzielle Hilfen, denn viele geraten wirklich in Not. Und dann gibt es den Fonds der deutschen Krebshilfe oder andere Hilfen, auf die wir aufmerksam machen können. Muss ein chronisch Kranker zum Beispiel weniger Zuzahlungen leisten? Im Gespräch mit den Betroffenen versuchen wir dann noch, herauszufiltern, wie gut oder schlecht es den Menschen und ihren Familien auch mental geht. Vielleicht sind sie einfach überfordert, weil noch zwei andere Kinder da sind, die Eltern arbeiten und zeitgleich kümmern sie sich um das dritte kranke Kind im Krankenhaus. Diese Familien sind dann einfach dankbar, wenn wir ihnen Dinge abnehmen, um die sie sich nicht mehr kümmern müssen.
Über welchen Zeitraum begleiten Sie die Patienten?
Das ist von Fall zu Fall unterschiedlich. Manche ein Jahr lang, andere Patienten länger. Es kam auch schon vor, dass Betroffene nach ein paar Jahren wiederkamen, weil sie wieder erkrankt waren. Aber dann kenne ich den Fall, kenne die Familie, die Umstände, vielleicht auch Sprachbarrieren. Es kann aber auch sein, dass jemand einmalig Hilfe benötigt, zum Beispiel beim Antrag auf Reha. Und wenn das dann erfolgreich war, endet auch die Beratung und wir hören nichts mehr von demjenigen. Es kommt wirklich auf die Erkrankung an und welche Folgen sie für den Betroffenen selber oder die Familie hat.
Sie fokussieren sich somit auch auf die Angehörigen.
Die Angehörigen leiden natürlich auch, aus verschiedenen Gründen. Ich betreute vor einiger Zeit einen Achtjährigen, der an Krebs erkrankt war und lange in der Klinik lag. Die alleinerziehende Mutter hatte unfassbar viel um die Ohren, und dann gab es auch den zehnjährigen Bruder, der unter dieser Situation zu kurz kam. Wir konnten ihm dann das Angebot machen, über fünf Tage „Lichtblick“, unserer Ferienfreizeit für Geschwister, zu verreisen. Die Familie hätte sich das weder finanziell noch organisatorisch leisten können. Später konnte auch die Mutter mit beiden Kindern in die Reha. Das sind die Momente, die richtig schön sind und in denen es auch mir gutgeht. Das gibt mir viel zurück.
Wie stark belasten Sie solche Schicksale?
Die gehen mir sehr nah, besonders die Fälle mit Kindern sind schlimm. Auch ich habe dann mitunter Tränen in den Augen und denke, dass die Welt wirklich ungerecht ist. Wir als Patientenbegleiter fühlen mit, das kann man ja nicht einfach abstellen. Wenn wir aber diesen verzweifelten Eltern helfen und sie dadurch in ihrem Alltag entlasten können, sind sie einfach froh und dankbar. Ich kann ihnen zwar nicht die Krankheit, aber durchaus ein wenig Stress wegnehmen. Das gibt den Familien und letztendlich auch mir Kraft und ich mache gerne weiter, weil ich in meinem Job Menschen helfen und etwas erreichen kann. Es bleibt natürlich nicht aus, dass Fälle auch traurig enden und die Menschen versterben. Es berührt mich dann auch, keine Frage. Hin und wieder nehme ich diese Gedanken dann auch mit nach Hause. Ich denke darüber nach, aber es belastet mich nicht, denn ich konnte das bestmögliche für die Betroffenen und ihre Familien machen.
AOK-Patientenbegleitung
Unterstützung für Krebspatienten.
Was nehmen Sie aus Ihrer Arbeit für sich persönlich mit?
Meine Arbeit erfüllt mich, denn ich bin für andere da und höre zu. Jeder in der Patientenbegleitung kann gut zuhören und empathisch sein, sich in die Situation anderer Menschen hineinversetzen. Wir lassen uns voll und ganz darauf ein. Ich habe gerne mit Menschen zu tun, genieße den direkten Kontakt, ob per Telefon oder bei den Menschen zu Hause. Ich schaue auch mal im Krankenhaus vorbei. Helfen zu können, ist ein wichtiger Punkt und für mich schon sehr befriedigend. Ich empfinde meine Arbeit als sinnvoll. Sie ist immer anders, kein Fall ist wie der andere, aber es ist trotzdem immer gut. Ich kann die Phase einer schweren Erkrankung erleichtern. Den Verlauf kann ich zwar nicht beeinflussen, aber ich habe trotzdem etwas Gutes getan.
Haben Sie Wege, mithilfe derer Sie Abstand von ihrer Arbeit gewinnen?
Um den Kopf freizukriegen, nehme ich das Rad für den Weg zur Arbeit und gehe mittags immer eine Runde raus, das tut einfach gut. Ich spiele auch gerne Tennis, denn da konzentriere ich mich nur auf den Sport und auf nichts anderes. Eine gewisse Grenze zwischen meinen Fällen und meinem Privatleben ziehe ich da schon, das habe ich im Laufe der Jahre gelernt. Ich brauche einfach die Distanz, um für die Menschen, die meine Hilfe brauchen, objektiv und stark zu sein; um ihnen auch Mut zu machen.
Wie gut müssen die Patientenbegleiter als Team funktionieren?
Wir haben untereinander wirklich sehr intensiven Kontakt. Wir wissen ja nun auch nicht alles. Also rufen wir einander an und fragen um Rat, haben auch eine Supervision (eine berufliche Beratung, Anm. der Redaktion), in der wir über schwierige Fälle reden. Da hilft uns auch die AOK Rheinland/Hamburg sehr gut, dass wir uns auch mal zusammensetzen und austauschen können, was uns belastet oder falls wir mal in einem Fall gar nicht weiterkommen. Das bleibt unter uns und der Supervisor weiß, wie er uns abholen kann.
Welche Voraussetzungen mussten Sie erfüllen, um Patientenbegleiterin zu werden?
Wir kommen alle aus ganz unterschiedlichen Bereichen und haben andere Schwerpunkte. Es gibt Sozialversicherungsfachangestellte, Sozialarbeiter, ich zum Beispiel habe Ernährungswissenschaften studiert. Uns eint das Interesse am Menschen und der Kommunikation.
Bei einem so breiten Feld an Erkrankungen – wie behalten Sie da den medizinischen Überblick?
Das ist ein ständiges Lernen, denn wenn wir uns intensiv mit allen Thematiken beschäftigen, können wir die Patienten auch besser beraten. Wir haben regelmäßig Schulungen und fachliche Sitzungen zu verschiedenen Krankheiten, Krankheitsbildern, gesetzlichen Neuerungen und verschiedenen Therapien. Dabei werden wir von Ärzten unterstützt, die ihr Fachwissen mit uns teilen.
Wie hat die Corona-Pandemie Ihre Arbeit als Patientenbegleiterin beeinflusst?
Die Patientenbegleitung war in den vergangenen zwei Jahren wichtiger denn je. Die Menschen hatten einfach viel intensiveren Gesprächsbedarf. Wir konnten nicht zu ihnen nach Hause und sie nicht zu uns in die Geschäftsstelle, aber es gab ja neben Covid-19 trotzdem noch andere Krankheiten. Patienten konnten nicht in die Reha, viele Krankenhausaufenthalte fielen aus. Den Bedarf, mit uns zu reden, hatten die Betroffenen dann umso mehr. Wir waren eine wichtige Stütze in der Zeit, glaube ich.
Letzte Änderung: 25.01.2023
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