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Hitzewallungen, Schlafstörungen, Stimmungstiefs: In den Wechseljahren verändern sich bei Frauen die Hormone. Das ist häufig eine Herausforderung. Gynäkologin Dr. Katrin Schaudig erklärt im Interview, was im Körper passiert, was die Hormonersatztherapie kann und warum individuelle Beratung so wichtig ist.
Gynäkologin mit dem Spezialgebiet Hormone. 2003 gründete sie gemeinsam mit Dr. med. Anneliese Schwenkhagen HORMONE HAMBURG, eine Praxis für gynäkologische Endokrinologie.
Sie ist Präsidentin der Deutschen Menopause Gesellschaft e. V. und Co-Host des Podcasts „Hormongesteuert“. Gerade ist ihr neues Buch Hot Stuff – Wechseljahre to go im dtv Verlag erschienen. Foto: © dtv Verlag
In den vergangenen Jahren hat sich viel getan beim Thema Wechseljahre. Gleichzeitig hören immer noch viele Frauen: „Da müssen Sie halt durch.“ Warum hält sich diese Ansicht so hartnäckig?
Das frage ich mich ehrlich gesagt auch. Es gibt da aber zwei Lager: Die einen sagen, die Wechseljahre seien etwas völlig Natürliches, das nicht überbewertet werden sollte. Die anderen überproblematisieren das Thema vielleicht. Ich persönlich sehe mich dazwischen. Mein Credo ist: Man muss auf jede Frau individuell schauen.
Ich erinnere mich an ein Gespräch mit zwei Frauen. Eine sagte: „Wir haben da früher kein Gewese drum gemacht.“ Die andere: „Das waren die schlimmsten zehn Jahre meines Lebens.“ Das zeigt, wie unterschiedlich Frauen die Wechseljahre erleben. Und das hängt wiederum auch davon ab, wie offen über Beschwerden gesprochen wird – im Freundeskreis, aber auch in der ärztlichen Praxis. Dass viele Frauen sich als „Aushalterin“ verstehen, ist auch Teil des Problems. Ich fand einen Satz sehr treffend, den ich in einer Talkshow gehört habe: „Wenn Männer Hitzewallungen hätten, gäbe es an jeder Tankstelle Östrogene.“ Das drückt gut aus, welchen Stellenwert frauenspezifische Beschwerden gesellschaftlich haben.
Was müsste sich ändern, um das Thema sichtbarer zu machen?
Aufklärung, Aufklärung, Aufklärung – das gilt für Patientinnen genauso wie für Ärztinnen und Ärzte. Ich freue mich, dass viele Kolleginnen und Kollegen unseren Podcast hören, sich weiterbilden und ihn auch ihren Patientinnen empfehlen. Unser Ziel ist es, medizinisches Wissen unideologisch zu vermitteln.
Kommt das Thema Wechseljahre in der gynäkologischen Ausbildung überhaupt vor?
Leider kaum. Es gehört zwar offiziell zum Facharztkatalog, aber die gynäkologische Ausbildung findet vorwiegend in Kliniken statt und da spielen Hormone kaum eine Rolle. Wechseljahresbeschwerden gehören eben ganz klar in die ambulante Medizin.
Von der Praxis aus bieten wir zum Beispiel Fortbildungen speziell für Ärztinnen und Ärzte in der Facharztausbildung an. Sie erhalten dort theoretisches Wissen und können anonymisierte Fälle in einer monatlichen Online-Konferenz besprechen. Unser Ziel ist, dass solche Inhalte in Zukunft verpflichtend in die Facharztausbildung aufgenommen werden.
Welche Beschwerden treten besonders häufig auf?
Ganz typisch sind Schlafstörungen, depressive Verstimmungen und Konzentrationsprobleme, also das, was man heute auch als „Brain Fog“ bezeichnet. Aber auch Reizbarkeit, Panikattacken oder körperliche Beschwerden wie Schwindel, Kopfschmerzen oder Tinnitus. Wichtig ist, den Zusammenhang zur hormonellen Umstellung zu erkennen, und nicht vorschnell eine andere Diagnose zu stellen. Denn viele Beschwerden werden häufig zunächst nicht als Wechseljahressymptome erkannt. Stimmungsschwankungen zum Beispiel werden häufig als Stress, Depression oder Burnout fehlinterpretiert, selbst von Ärztinnen. Vor allem in der frühen Phase – der sogenannten Perimenopause – sind die Symptome oft diffus. Außerdem liefern Bluttests in dieser Phase oft keine klaren Ergebnisse, denn die Hormonwerte können von Tag zu Tag unterschiedlich sein. Deshalb ist das ärztliche Gespräch so wichtig. Ich frage sehr genau nach: Wann treten die Beschwerden auf? Wie regelmäßig ist der Zyklus wirklich? Entscheidend ist das Gesamtbild. Die allgemein bekannten Hitzewallungen treten meist erst auf, wenn das Östrogen über längere Phasen fehlt, häufig erst nach der letzten Regelblutung, der Menopause.
Wann ist eine Hormonersatztherapie sinnvoll?
Entscheidend sind der individuelle Leidensdruck und die Risiken. Nach Brustkrebs ist eine Hormontherapie zum Beispiel ausgeschlossen. Auch bei Thrombosen, Schlaganfällen oder Herzinfarkten muss man sehr genau abwägen. Wenn diese Faktoren vorhanden sind oder der Leidensdruck gering ist, rate ich zu Alternativen. Wenn das aber nicht der Fall ist, können Hormone sehr wirksam sein.
Viele Frauen haben immer noch Angst davor – oft durch Berichte aus den 2000er-Jahren, als Studien für viel Verunsicherung sorgten. Da hilft nur: aufklären, Ängste ernst nehmen, individuell beraten. Und manchmal bedeutet das auch, auf Hormone zu verzichten und andere Wege zu gehen.
Welche Alternativen gibt es zur klassischen Hormontherapie?
Pflanzliche Präparate, sogenannte Phytotherapeutika, helfen bei manchen Symptomen. Johanniskraut kann bei depressiver Verstimmung wirken, Baldrian beim Einschlafen. Aber: Nicht alles ist harmlos. Johanniskraut zum Beispiel hat viele Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten. Außerdem helfen einigen Frauen Achtsamkeitstraining, Yoga, Bewegung, gesunde Ernährung oder auch kognitive Verhaltenstherapie. Es gibt auch neue Medikamente wie Neurokinin-B-Antagonisten, die speziell Hitzewallungen entgegenwirken, zum Beispiel nach Brustkrebs. Und in manchen Fällen können auch Antidepressiva sinnvoll sein.
Wie gehen Sie in der Praxis vor, wenn Sie eine Patientin beraten?
Ich frage immer zuerst: Was stört Sie am meisten? Ist es der Schlaf, die Stimmung, das Gewicht, die Hitzewallungen? Wenn zum Beispiel das Gewicht das Hauptproblem ist, bringen Hormone allein wenig. Dann schaue ich: Gibt es ein metabolisches Syndrom, also Übergewicht, Bluthochdruck, hohe Blutfette? Dann geht es zuerst um Bewegung, Ernährung und ggf. Medikamente wie Metformin oder ein Blutdruckmittel. Erst wenn diese Faktoren im Griff sind, denke ich über eine Hormontherapie nach.
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Was passiert, wenn Wechseljahresbeschwerden unbehandelt bleiben? Gibt es langfristige gesundheitliche Folgen?
Ja, besonders wenn Frauen sehr früh in die Wechseljahre kommen – also vor dem 45. Lebensjahr – und keine Behandlung erhalten. Dann steigt das Risiko für Osteoporose, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und möglicherweise auch für Demenz.
Und lässt sich das durch eine Hormontherapie verhindern?
Die Datenlage ist nicht eindeutig, aber wir wissen: Eine Hormontherapie kann zum Beispiel Osteoporose verzögern oder verhindern. Auch das Risiko für Typ-2-Diabetes ist bei Frauen mit Hormontherapie deutlich geringer. Beim Herz-Kreislauf-System sieht es komplexer aus. Es spricht vieles dafür, dass eine frühzeitige Therapie vorbeugend wirkt, aber absolute Sicherheit gibt es nicht, weil Langzeitstudien mit jüngeren Frauen fehlen.
Warum ist die Studienlage so schwierig?
Die bekannteste Studie – die WHI-Studie – wurde mit Frauen im Durchschnittsalter von 63 Jahren durchgeführt, also viele Jahre nach der Menopause. Sie zeigte zwar ein gering erhöhtes Brustkrebsrisiko bei einer speziellen Hormonkombination, aber auch positive Effekte bei alleiniger Östrogengabe. Leider wurde das in der Berichterstattung oft verkürzt dargestellt. Was fehlt, ist eine große, moderne Langzeitstudie mit Frauen, von denen die eine Hälfte direkt zum Beginn der Menopause mit einer Hormonersatztherapie startet, die andere mit Placebos. Das wäre wissenschaftlich ideal, ist aber ethisch und praktisch kaum umsetzbar.
Es laufen aktuell Registerstudien, besonders in Skandinavien, wo man Krankenkassendaten mit Gesundheitsdaten besser verknüpfen kann. In Deutschland ist das aus Datenschutzgründen kaum möglich. Was ich mir wünsche, ist mehr öffentliche Forschungsförderung, denn viele Studien werden aktuell von der Industrie getragen. Dabei betrifft das Thema Millionen Frauen.
Was raten Sie Betroffenen, die überfordert sind oder sich mit ihren Beschwerden nicht ernst genommen fühlen?
Sich gut informieren, aus vertrauenswürdigen, medizinisch fundierten Quellen. Von der Deutschen Menopause Gesellschaft zum Beispiel gibt es Webinare, in denen viele Fragen verständlich beantwortet werden. Wer sich vorbereitet ins Arztgespräch begibt, kann gezielter fragen und Entscheidungen besser einordnen. Und wenn man das Gefühl hat, nicht ernst genommen zu werden, darf man sich eine zweite Meinung holen – das ist kein Vertrauensbruch, sondern Selbstfürsorge.
Und was möchten Sie Frauen grundsätzlich mitgeben, die sich in dieser Lebensphase unsicher oder aus der Balance fühlen?
Die Wechseljahre können auch eine Chance sein – ein guter Moment, innezuhalten und sich zu fragen: Wie möchte ich die nächsten 30 oder 40 Jahre gestalten? Ich nenne das gern den „Reset-Knopf“. Es geht nicht darum, alles zu verändern. Aber vielleicht ist jetzt der richtige Zeitpunkt, um Vorsorgeuntersuchungen wahrzunehmen, den eigenen Lebensstil zu reflektieren, andere Prioritäten zu setzen oder neue Routinen zu entwickeln, sei es Ernährung, Bewegung oder Achtsamkeit. Jetzt ist die Zeit, sich um sich selbst zu kümmern, und es gibt Wege, gut durch diese Zeit zu kommen.
Wenn die Hormone verrücktspielen, beginnt für die meisten Frauen eine oft leidvolle, obgleich ganz natürliche Lebensphase. Dr. Katrin Schaudig und die Journalistin Katrin Simonsen beantworten die wichtigsten Fragen zu den Wechseljahren klar und verständlich.
„Hot Stuff – Wechseljahre-Wissen to go“, dtv Verlag, 16 Euro
Letzte Änderung: 14.08.2025
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